Dee Dee Bridgewater

2022 | Interview

Dee Dee Bridgewater bricht eine Lanze für Frauen im Jazz

Wie haben Sie Ascona in Erinnerung und worauf freuen Sie sich dieses Jahr besonders?

In Ascona lernte ich 2015 viele Musikerinnen und Musiker kennen. Es entstanden Projekte und es entstanden Freundschaften, die bis heute anhalten. Der künstlerische Austausch hat mir sehr viel gegeben. Ich bedaure nur, dass ich keine Zeit hatte, die Gassen von Ascona kennenzulernen. Das werde nun hoffentlich nachholen!

Sie werden in Ascona vom New Orleans Jazz Orchestra begleitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Alles begann mit Irvin Mayfield, dem Gründer und ehemaligen künstlerischen Leiter des Orchesters. Ich habe in den letzten Jahren intensiv mit ihm zusammengearbeitet, mit dem Ziel, das New Orleans Jazz Orchestra bekannt zu machen. Daraus entstand sogar eine Platte, bevor ich mich von dem Projekt trennte. Jetzt, wo Adonis Rose die Leitung übernommen hat, habe ich mich wieder engagieren wollen. Und so bin ich erneut mit dem New Orleans Jazz Orchestra auf Tournee!

The New Orleans Jazz Orchestra ft. Dee Dee Bridgewater - JazzAscona 2022

©JazzAscona – Photo credit Gioele Pozzi

Sie haben sich schon immer für die musikalische Erkundung interessiert. Es scheint mir, dass Sie sich in keinem musikalischen Kontext einschränken lassen wollen.

Im Allgemeinen glaube ich nicht, dass irgendjemand es mag, mit einem Etikett versehen zu werden, aber ich habe jetzt meinen Frieden damit gemacht, dass ich eine Jazzsängerin bin. Das akzeptiere ich, auch wenn meine Interessen sehr viel breiter gefächert sind und mich in der Tat immer weiter von dieser Definition wegführen. Das sogar meine neueste Platte Memphis… Yes, I’m Ready, die 2017 erschienen ist, in der Kategorie Jazz landete, brachte mich zum Lächeln. Ich arbeite derzeit an einer Musicalproduktion für den Broadway und erwäge, ein zweites Musical zu inszenieren, das mir vorgeschlagen wurde. Ich bin seit vielen Jahren auf den Bühnen unterwegs. Das ist in einer Branche wie die Musikindustrie, die zutiefst männlich geprägt ist, kein leichtes Unterfangen. Ich kann Ungerechtigkeit nicht ertragen, und die Wahrheit ist, dass ich wütend bin. An diesem Punkt meiner Laufbahn ziehe ich es vor, meine Energie an anderen Fronten zu investieren.

Beziehen Sie sich auf Ihr Mentoring-Programm für Frauen in der Jazzszene?

Ganz genau. Ich halte es für unsere Pflicht, die Kultur in Richtung eines Umfelds zu bewegen, in dem Frauen, die so viel zu dieser einzigartigen Kunstform beigetragen haben und weiterhin beitragen, willkommen geheissen, gefeiert und unterstützt werden. Das Woodshed Network ist ein Programm, das vor drei Jahren ohne grosses Aufsehen ins Leben gerufen wurde – weil ich ungern meinen Namen dazu benutze, um hinauszuposaunen, was ich so tue – und es entwickelt sich zu etwas Grossem. Hauptsächlich durch Mundpropaganda. Es handelt sich um einen einjährigen Fortbildungskurs für Jazzmusikerinnen, die sich selbstbewusster in der Musikindustrie bewegen wollen. Ein Karriereschub, der es bereits zahlreichen Musikerinnen ermöglicht hat, an spannenden Projekten teilzunehmen oder ihren Platz in einer Band zu finden.

Bei diesem Projekt arbeiten Sie mit Ihrer Tochter Tulani Bridgewater zusammen. Können wir sagen, dass Sie ein Vermächtnis für die künftigen Generationen aufbauen?

Ja, meine Tochter und ich setzen uns beide für einen reellen Wandel ein. Wir müssen das Paradigma durchbrechen, und wir werden nicht aufhören, bis Frauen auf der Bühne die Norm sind. Wenn ich in der Begleitung von einem reinen Frauenquintett oder -sextett zu einem Konzert gehe, finden das die Organisatoren oft sonderbar und fragen mich, warum ich sie nicht früher gewarnt habe. Und ich: «Warum sollte ich?» Kurzum, es ist noch ein langer Weg zu gehen…